Was ist Sprachattrition?

(English)

AmsterdamAls ich in die Niederlande zog (ich war damals 33 Jahre alt), war ich fest entschlossen schnell Niederländisch zu lernen. Ich hatte natürlich nicht die Erwartung, perfekt zu werden. Ich wusste, dass mir gelegentlich die Worte fehlen würden, dass meine Grammatik zeitweise etwas fehlerhaft sein würde und dass viele – eigentlich eher alle – Gespräche mit Fremden schnell zu der unvermeidlichen Frage „Woher kommen Sie?“ führen würden. Es ist schließlich normal, dass so etwas passiert, wenn man später im Leben beginnt eine Sprache zu lernen. Und es gibt eine Vielzahl an Forschungsergebnissen, die dies belegen.

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Was ich nicht erwartete, war, dass mir das Gleiche in meiner Muttersprache, Deutsch, passieren würde.

Menschen, die längere Zeit im Ausland leben und eine andere Sprache lernen und sprechen (Zweitsprache oder S2) , erleben fast unvermeidlich auch Probleme mit ihrer Muttersprache (Erstsprache oder S1). Diese Probleme können sich folgendermaßen äußern:

  • Probleme, sich an manche Wörter zu erinnern. Oft werden die Wörter von der anderen Sprache man auf das Wort in der Muttersprache nicht zugreifen kann
  • die Sprache wird zunehmend zögerlich und weniger flüssig und enthält viele Pausen, „ähm“ etc., Wiederholungen und Verbesserungen
  • es schleichen sich seltsame Ausdrücke und Wendungen ein, z.B. „eine Rede geben“ statt „eine Rede halten“, „ein Foto nehmen“ statt „ein Foto machen“,
  • oft nehmen Muttersprachler einen ausländischen Akzent wahr
  • auf die Dauer kann sich das Gefühl einstellen, in der eigenen Muttersprache fremd zu sein

Dieser Prozess, die sogenannte Sprachattrition, ist sehr weit verbreitet. Trotzdem ist es eine unerwartete und zutiefst verunsichernde Erfahrung, und die Forschung auf dem Gebiet ist noch sehr spärlich, wenn man sie mit dem weiten Forschungsfeld der Zweitsprachentwicklung vergleicht. Aus diesen beiden Gründen fühlen sich die Betroffenen oft allein, als Ausnahmefälle – und irgendwie absonderlich.

Übersetzung ins Deutsche: Daniel Oesterle