Use it or lose it?

(English)

use or lose

Eine Tatsache erscheint sofort völlig offensichtlich, wenn es um Sprachverlust geht: “Je mehr man die Sprache spricht, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass man sie verliert.” Oder, einfacher gesagt, “use it or lose it”. Logisch, oder?

Falsch.

Ich weiß. Ich fand das zunächst auch schwer zu glauben.

Aber es ist nun einmal so, dass alle verfügbare empirische Studien hiergegen sprechen – und es ist nicht so, als ob wir es nicht versucht hätten! Eine recht große Anzahl wissenschaftlicher Studien haben verschiedene Gruppen von Sprechern zunächst auf ihre Sprachkompetenz getestet und sie dann lange und langweilige Fragebögen zu ihrem Sprachgebrauch ausfüllen lassen. In keiner dieser Studien wurde die use-it-or-lose-it-Idee bestätigt. Es gibt Leute, die glaubhaft versichern, dass sie ihre Muttersprache seit Jahrzehnten praktisch nicht benutzt haben, sie jedoch noch absolut perfekt beherrschen. In anderen Fällen ist jemand mit einem anderen Muttersprachler verheiratet und/oder hat einen großen Freundeskreis, klingt aber überhaupt nicht mehr wie ein Muttersprachler. (Und natürlich gibt es auch Fälle, in denen es umgekehrt ist.)

Ceci n’est pas une apple.

Ich bin überzeugt, dass der Grund hierfür in den Mechanismen liegt, mit denen wir Wissen speichern und abrufen. Wann immer wir nach einer bestimmten Information in unserem Gedächtnis greifen, müssen wir darauf achten, dass wir nicht aus Versehen etwas erwischen, das ähnlich aussieht, klingt oder etwas ähnliches bedeutet. Wenn man zwei Sprachen spricht, so hat man eine sehr große Vielzahl solcher ‘Mitbewerber’. Jemand der zum Beispiel einen Apfel sieht, hat hierfür vielleicht das englische Wort apple oder auch das französische pomme gespeichert. Wenn er das französische Wort verwenden möchte, muss er das englische unterdrücken oder inhibieren. Dies kostet Anstrengung, und weil Zweisprachige es ständig tun müssen, haben sie viel Übung und sind darin besonders gut.

Wenn man jedoch die Muttersprache hauptsächlich mit Freunden und Familie spricht, dann hat man möglicherweise weniger Übung was derartige Inhibierung betrifft – schließlich sprechen meist alle beide Sprachen, und wenn das Wort in der einen Sprache nicht schnell genug verfügbar ist, dann kann man es in der anderen Sprache verwenden. Auch dies kann zur Gewohnheit werden, und dann wird es auf die Dauer möglicherweise schwieriger, nur noch die Muttersprache zu sprechen, ohne zu wechseln. Wenn man hingegen fast ausschließlich die Zweitsprache spricht (und hier nicht so leicht ‘switchen’ kann, da die Leute es nicht verstehen würden), dann wird der Inhibierungsmechanismus möglicherweise mit der Zeit besonders gut. In diesem Fall ist es dann auch einfacher, wieder die Muttersprache zu sprechen, auch wenn es vielleicht eine kurze Anlaufszeit braucht.