Vor einigen Jahren bekam ich eine Email von einem englischen Freund der mit seiner niederländischen Frau nach Kanada gezogen war und dort einen kleinen Sohn bekommen hatte. Er machte sich Sorgen über die sprachliche Entwicklung seines Kindes:
Ich brauche Deinen wissenschaftlichen Rat zur Erziehung von zweisprachigen Kindern. Im Moment hört Jeroen mehr Niederländisch als Englisch, weil Anniek tagsüber mit ihm zu Hause ist. Wenn wir in Kanada bleiben dann mache ich mir Sorgen, ob sein Englisch nicht ins Hintertreffen gerät, bis er mit der Schule anfängt. Sollten wir von jetzt an das Verhältnis umkehren, und mehr Englisch sprechen?
Diese Sorge haben natürlich viele zweisprachige Eltern. Eine weitverbreitete Ansicht lautet, daß es wichtig sei, die Landessprache mit den Kindern zu sprechen, da man ihnen ansonsten die Chance verbaut, sich gut zu integrieren und die Sprache gut zu lernen. Daher rühren auch die regelmäßig wiederkehrenden Forderungen von Politikern, daß Migrantenfamilien zu Hause Deutsch zu sprechen hätten.
Solch eine Forderung wurde vor nicht allzu langer Zeit von der Regierungspartei CSU gestellt. Die entsprechende Presseerklärung erschien zufällig spät an einem Freitagnachmittag, und landauf landab verbrachten daraufhin Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler das Wochenende mit dem Schreiben von Stellungnahmen, Kommentaren und Artikeln, die erklärten, warum diese Forderung völlig fehlgeleitet ist (hier ist ein solcher Text auf Englisch). Am Montagmorgen stellten wir zu unserem Erstaunen fest, dass wir alle, unabhängig voneinander, genau dieselben Dinge gesagt hatten:
Um eine Sprache lernen zu können, müssen Kinder diese Sprache hören und üben. Es ist allerdings von größter Wichtigkeit, dass der sprachliche Input, den sie erhalten, grammatisch korrekt und regelhaft ist (denken Sie an das deutsche Ehepaar im Film Casablanca, welches ich hier erwähne). Nehmen wir als Beispiel eine sehr einfache grammatische Regel: im Englischen müssen Verben das Affix -s erhalten, wenn das Subject in der dritten Person Singular steht (er, sie, Richard, der Hund usw.): the dog barks, Richard eats etc. In allen anderen Fällen erscheint kein -s (the dogs bark, we eat). Auch wenn diese Regel so offenkundig einfach ist, haben Zweitsprachler oft große Probleme damit, sie korrekt anzuwenden. In vielen Fällen wenden selbst eigentlich recht fortgeschrittene Lerner die Regel häufiger falsch an als richtig. Wenn das nun die Sprache ist, die ein Kind ständig hört, wie soll es die Regel dann jemals lernen?
Es ist sehr wichtig, dass Kinder, wenn sie mit der Schule beginnen und Lesen und Schreiben lernen eine Sprache voll beherrschen, so wie es ihrem Alter angemessen ist. Was diese Sprache ist, ist von nachgeordneter Bedeutung. Es gibt verschiedene Studien die zeigen, dass der spätere Schulerfolg viel stärker davon abhängt, wie gut Schulanfänger die Heimsprache beherrschen, als die Umgebungssprache.
Wir kommunizieren am Besten und sind am meisten mit unseren Gefühlen im Einklang, wenn wir die Sprache sprechen, die wir am besten beherrschen. Für die emotionale Bindung zwischen Eltern und Kind ist es daher sehr wichtig, daß sie miteinander diese Sprache verwenden.
Schlußletztlich ist wahrscheinlich immer der beste Test, wie Experten selbst sich zu Hause verhalten: ich kenne persönlich keine Sprachwissenschaftler, die ihre eigenen Kinder nicht zweisprachig erziehen, soweit sie die Möglichkeit haben.
Als ich meinen Freund in Kanada gefragt habe, ob ich seine Email hier verwenden darf, hat er mir stolz erzählt, daß der kleine Jeroen inzwischen völlig zweisprachig ist. Ebenso wie sein kleiner Bruder.