
Internationale Adoption nimmt ständig zu, und wenngleich die meisten Kinder in einem sehr frühen Stadium ihres Spracherwerbs adoptiert werden (die Mehrzahl ist jünger als zwei), so kommt es doch auch vor, daß Kinder auch sehr viel älter sind und ihre Muttersprache schon weitgehend beherrschen. Selbst Adoptionen im Alter von neun oder zehn Jahren kommen gelegentlich vor.
Oft versuchen die Eltern dann, ihren Kindern die Möglichkeit zu bieten, ihre Geburtssprache weiter zu sprechen – sei es, indem sie im Ursprungsland Urlaub machen, ihnen Sprachunterricht ermöglichen oder auch versuchen, jemanden zu finden, der regelmäßig die Geburtssprache mit dem Kind spricht. Leider sind diese Versuche in den allermeisten Fällen zum Scheitern verurteilt: auch die ältesten adoptierten Kinder verlieren ihre Muttersprache meist vollständig innerhalb weniger Monate. Im Erwachsenenalter können sie sich oft nicht einmal an die einfachsten und häufigsten Wörter erinnern.

Oft drängt sich dann die Frage auf, ob die Sprache nicht doch noch irgendwo da ist, tief im Unterbewußtsein vergraben. Manche adoptierte Erwachsene versuchen dann, die Sprache durch Kurse an Sprachschulen oder Universitäten wieder zu lernen, oder verbringen zu diesem Zweck einige Zeit in ihrem Geburtsland. Die Frage ist dann, ob solche Sprachlerner einen Vorteil haben, wenn man sie mit anderen Neulingen dieser Sprache vergleicht, die den Kindheitshintergrund nicht teilen?
Es mag seltsam klingen, aber ein solcher Vorteil ist, wenn er denn überhaupt existiert, allerhöchstens minimal. Wenn Sie als Kind eine andere Sprache gesprochen und diese nach einer Adoption vergessen haben, dann haben Sie allenfalls einen leichten Vorteil, was die Aussprache betrifft. Die Grammatik und den Wortschatz müssen Sie, wohl oder übel, genauso hart erlernen wie jemand, der mit der Sprache überhaupt keine Erfahrung hat.
Es gibt eine Anzahl Neuroimaging-Studien, anhand derer untersucht wird, ob die frühkindliche Spracherfahrung zu einer unterschiedlichen Organisation des Gehirns und des Sprachvermögens führt. Auch hier ist die Erkenntnis, dass solche Effekte bestenfalls sehr subtil sind, und beim Neuerlernen der Sprache wenig helfen können.