… bei Senioren

(English)

Wenn Menschen aus dem Berufsleben ausscheiden, kann das starke Auswirkungen auf ihren Sprachgebrauch haben. Oft haben sie jahrelang täglich mit Kolleginnen und Kollegen die Landessprache gesprochen, aber wenn sie nun mehr Zeit zu Hause mit ihrer Familie und mit Freunden verbringen, und wenn diese die gleiche Muttersprache haben, dann kann das zu einem starken Anstieg in der Verwendung dieser Sprache führen. Hinzu kommt, dass die Kinder, denen die Landessprache oft geläufiger ist, nicht mehr im Haus leben, und dass die Ehepartner dann auch wieder anfangen, miteinander ihre eigene Muttersprache zu sprechen.

Hinzu kommt, dass viele der Phänomene, die bei Sprachverlust oft auftreten – vor allem Wortfindungsschwierigkeiten – selbst einsprachigen älteren Menschen sehr bekannt vorkommen werden. Es kann also vorkommen, dass sich der Sprachverlust auf der einen Seite und die Alterserscheinungen auf der anderen aufaddieren. (Es gibt allerdings einige Studien, die darauf hinweisen, dass Mehrsprachigkeit das Auftreten von Alterserscheinungen verlangsamen kann.)

In dieser Situation haben viele ältere Migranten das Gefühl, daß sie einen Prozeß durchmachen, der ‘Sprachreversion’ genannt wird: die Zweitsprache, die über viele Jahre hinweg eine dominante Rolle gespielt hat, wird langsam vergessen, und die Muttersprache rückt wieder mehr in den Vordergrund, auch wenn sie lange kaum verwendet worden war.

Das Schreckensbild der ‘Sprachreversion’ ist besonders unter der niederländischstämmigen Bevölkerung Australiens weit verbeitet. Viele ehemalige Auswanderer in dieser Gruppe haben ihre Muttersprache nicht an ihre eigenen Kinder weitergegeben, und wenn sie nun selbst älter werden, fürchten sie sich sehr vor dem Moment, in dem sie mit ihren Kindern nicht mehr kommunizieren können – da sie selbst ihr Englisch vergessen haben, während die Kinder das Niederländische nicht beherrschen.

Michael Clyne
Michael Clyne

Dieses Phänomen wurde zuerst in den Studien zu den Einwanderunggsprachen Australiens von dem (leider verstorbenen) Sprachwissenschaftler Michael Clyne beschrieben. In den 1970ern interviewte er viele niederländische Migranten, die über ihre eigene ‘Sprachreversion’ sprachen. Clyne untersuchte diese Phänomen über mehrere Jahrzehnte hinweg, und nahm immer wieder Tests an einer immer älter werdenden Gruppe Niederländern vor. Seine Ergebnisse geben Grund zu Optimismus:

  • zwar waren die meisten Teilnehmer überzeugt davon, daß auch sie eines Tages Sprachreversion erfahren würden, aber zum jeweiligen Zeitpunkt der Untersuchung merkten sie eher an, daß es etwas war, was sie an anderen beobachteten. Insbesondere meinte eine der Teilnehmerinnen, daß es ihr natürlich auch passieren würde, ‘wenn ich alt werde’. (Zu diesem Zeitpunkt war sie 87).
  • Clynes Studien lieferten keinerlei empirischen Beweis für die Existenz von Sprachreversion. Er selbst nannte das Phänomen in einer seiner letzten Publikationen einen ‘Mythos’.

Eins sollten wir jedoch im Auge behalten: Kommunikation zwischen ‘älteren’ und ‘jüngeren’ Menschen gestaltet sich an sich oft schwierig und frustrierend. Auf die jüngeren Gesprächspartner wirken ältere Menschen oft unaufmerksam und wenig interessiert, und Unterhaltungen mit ihnen werden als weniger befriedigend erfahren, als mit Gleichaltrigen. Ältere Gesprächspartner fühlen sich hingegen oft mit Herablassung behandelt, und reagieren verletzt auf ‘elderspeak’, einen durch jüngere Menschen oft verwendeten, übertrieben einfachen Stil.

Wenn nun also ältere Migranten und ihre jüngeren Familienangehörigen von Kommunikationsproblemem sprechen, stellt sich die Frage, inwieweit diese in der Tat die Folge von ‘Sprachreversion’ sind. Wenn die Kommunikation mit einem Eltern- oder Großelternteil beginnt schwierig zu werden, dann kann es schwer sein, dies (und die eigene Rolle darin) zu akzeptieren. Da ist es dann möglicherweise einfacher, den so nützlichen Mythos der Sprachreversion verantwortlich zu machen, der alle Teilnehmer aus der Verantwortung nimmt: es ist dann einfach ‘nur’ ein Sprachproblem.